Nager im LagerLesedauer 2 Min.
“Okay, Brainstorming. Ich will Ideen hören. Ganz frei von der Leber weg,”
Johnny Hermanns – er heißt eigentlich Johann, hat seinen Vornamen aber zusammen mit seiner Garderobe angepasst, als er seine Agentur für Krisen-PR gegründet hat – ist kritische Situationen gewohnt.
Man könnte auch sagen: Er lebt für sie.
Oder noch besser gesagt: von ihnen.
Sie sind sein Lebenselixier. Und haben den Stand seines Bankkontos in den letzten Jahren in den siebenstelligen Bereich getrieben.
Denn seiner Agentur “Kris-an” (über den Rechtsstreit mit der Shampoomarke ein anderes mal mehr) eilt in einschlägigen Branchen wie Automobil, Bekleidung, Nahrungsmittel, Tabak und Alkohol der Ruf voraus, auch der schlechtesten Lage noch einen positiven Spin verleihen zu können.
Und schlechte Lagen gibt es in diesen Branchen ja nicht gerade selten.
Aber Rattenbefall in einem Kühllager für Fleisch?
Das ist selbst für Hermanns eine harte Nuss.
Er hat Sushi (!) bestellt, sein ganzes Team zum Brainstorming zusammengerufen und es auf eine lange Nacht eingeschworen.
Einige Zeit bleibt es still. Johnny, ein mit allen Wassern gewaschener Brainstorming-Fuchs, tut, was man in so einem Fall tut: nichts.
Denn es gilt die erste Regel bei Brainstormings: Man muss die Stille aushalten können. Früher oder später traut sich jemand aus der Deckung.
So auch dieses Mal.
“Wenn, äh, Ratten das Zeug fressen … dann ist es doch sozusagen, äh, biologisch abbaubar, oder?”, wirft einer der Junior-Berater zögernd in den Raum.
Das Schweigen ist mit Händen zu greifen.
“Gut, ja.”
Johnny, der die auch die zweite Regel bei Brainstormings “Keine Kritik, egal wie dumm der Vorschlag auch sein mag” verinnerlicht hat, notiert auf dem Flipchart: “biologisch abbaubar, also alles halb so schlimm”.
“Weiter! Nur keine Scheu!”
Eine der Mediengestalterinnen räuspert sich: “Ich habe gelesen, dass das Fleisch in mehr als 20 Länder verkauft worden ist. Vielleicht könnte man sagen, dass es diesem Unternehmen in seiner Rolle als Global Player zu verdanken ist, dass nicht das ganze Zeug von deutschen Konsumenten …”
“Schön, ja.”
Johnny schreibt auf das Flipchart: “Global Player schützt deutsche Konsumenten”. Er zögert kurz, streicht dann “Konsumenten” durch und ersetzt es durch “KonsumentInnen”.
“Soweit ich gelesen habe, geht es nur um Schweineinnereien. Also kein Rindfleisch”, bemerkt ein Creative Director, der für seine Begeisterung für Dry Aged Steaks bekannt ist.
“Ausgezeichnet, toll.”
Johnny überlegt kurz und schreibt: “Rinder haben Schwein gehabt”.
“Ratten sind ja schließlich auch Tiere. Die haben halt ein Imageproblem. Aber vielleicht sollte man mal das Ganze aus ihrer Perspektive …”, wirft einer der Texter der Agentur ein.
“Prima, sehr gut.”
Johnny notiert: “Rattenrechte ins Grundgesetz”.
Er schaut in die Runde und sieht Blicke, die er für Fremdscham halten müsste, wenn ihm das Gefühl geläufig wäre.
Vielleicht doch zu provokativ, denkt er.
Johnny überlegt kurz – und notiert dann:
“Rat lives matter!”
Dir hat die Geschichte gefallen? Dann findest du noch eine Menge Lesefutter in meinen Büchern: