Vertrauen und Rapport aufbauen- mit dem Barnum-EffektLesedauer 3 Min.
Wir alle haben schon Menschen getroffen, zu denen sich schnell Vertrauen entwickelt hat. Oder mit anderen Worten: Wir haben schnell Rapport aufgebaut. Dieser Artikel beschreibt den in der Psychologie bekannten Barnum-Effekt und seine Wirksamkeit beim Aufbau von Rapport. Grundsätzliches und Tipps zum Thema findest du auch in meinem Artikel “Einfach und schnell Rapport aufbauen“.
Typische Erfahrungen klingen dann so:
- “Es war, als ob wir uns schon ewig kennen würden.”
- “Wir waren wahnsinnig schnell auf einer Wellenlänge.”
- “Ich hatte den Eindruck, dass er/sie mich genau verstand.”
Aus NLP- und anderen Kommunikationstrainings ist die Technik des “Spiegelns” (englisch: pacing) recht bekannt. Dabei übernimmt man beispielsweise (subtil!) die Körperhaltung oder Sprachmuster seines Gegenübers. Das kann auch Elemente der Kommunikation umfassen, die normalerweise außerhalb der bewussten Wahrnehmung liegen, also Atmung, Lidschlag usw.
In diesem Artikel stelle ich einen ähnlichen, bekannten Effekt aus der Psychologie vor, der sich auch für den Aufbau von Rapport sehr gut eignet: den Barnum-Effekt.
Der Effekt wurde durch ein 1948 vom amerikanischen Psychologe Bertram R. Forer durchgeführtes Experiment bekannt.
Barnum-Effekt: ein kleines Experiment
Am besten versuchst du es einmal selbst. Lies jetzt diesen kurzen Text:
Du bist auf die Zuneigung und Bewunderung anderer angewiesen, neigst aber dennoch zu Selbstkritik. Deine Persönlichkeit weist einige Schwächen auf, die du aber im Allgemeinen ausgleichen kannst. Beträchtliche Fähigkeiten lässt du brachliegen, statt sie zu deinem Vorteil zu nutzen. Äußerlich diszipliniert und selbstbeherrscht, neigst du dazu, dich innerlich ängstlich und unsicher zu fühlen. Mitunter zweifelst du stark an der Richtigkeit deines Tuns und deiner Entscheidungen. Du bevorzugst ein gewisses Maß an Abwechslung und Veränderung und bist unzufrieden, wenn du von Verboten und Beschränkungen eingeengt wirst. Du bist stolz auf dein unabhängiges Denken und nimmst anderer Leute Aussagen nicht unbewiesen hin. Doch findest du es unklug, dich anderen allzu bereitwillig zu öffnen. Manchmal verhältst du dich extrovertiert, leutselig und aufgeschlossen, dann aber auch wieder introvertiert, skeptisch und zurückhaltend. Manche deiner Erwartungen sind ziemlich unrealistisch.
Und nun beurteile auf einer Skala von 1 bis 5, wie sehr dieser Text auf Dich zutrifft.
Die Auflösung
Wenn du dich insgesamt recht gut von der Beschreibung getroffen fühlst und 3-4 Punkte vergeben hast, bist du in guter Gesellschaft. Denn die Mehrzahl aller Personen, denen dieser Text in Experimenten, beispielsweise als Horoskop, vorgelegt wird, fühlen sich ähnlich gut getroffen.
Aber woran liegt es, dass fast jeder Leser dieses Textes seine individuellen Charakterzüge gut beschrieben findet? Und wäre die Beherrschung einer von diesem Effekt abgeleiteten Technik nicht ein hervorragender Weg, um Rapport aufzubauen?
Warum der Barnum-Effekt funktioniert
Es gibt einige Gründe, warum der Barnum-Effekt wirkt (alle Beispiele aus dem obigen Text):
- Unspezifischer Rahmen: Je nach Lesart können Wörter wie “einige”, “manchmal”, “ein gewisses Maß” oder “mitunter” völlig unterschiedlich interpretiert werden.
- Tendenz zur Mitte: Die meisten Menschen fühlen sich hinsichtlich persönlicher Eigenschaften nicht in Extremen zuhause. Ein Satz wie “Manchmal verhältst du dich extrovertiert, leutselig und aufgeschlossen, dann aber auch wieder introvertiert, skeptisch und zurückhaltend” wird von der Mehrheit der Leser geteilt.
- Nicht falsifizierbare und universelle Aussagen: Eine Aussage wie “Manche deiner Erwartungen sind ziemlich unrealistisch” ist praktisch nicht widerlegbar. Ähnlich funktionieren Allgemeinplätze wie “Alles hat seine zwei Seiten”.
- Unscharfe Formulierungen: Jemandem zu sagen: “Beträchtliche Fähigkeiten lässt du brachliegen, statt sie zu deinem Vorteil zu nutzen”, hat eine große Chance auf Zustimmung, da ja nicht genau ausgeführt wird, welche der vielen Fähigkeiten, die jeder Mensch besitzt, der Angesprochene gerade nicht nutzt.
Ein Anmerkung: Wer sich schon einmal mit dem Milton-Modell der Sprache aus dem NLP beschäftigt hat, dem dürfte klar werden, warum der obige Text in Experimenten so viel Zustimmung erhält.
Den Barnum-Effekt für den Aufbau von Rapport nutzen
Es dürfte klar sein, dass Techniken, die den Barnum-Effekt erzeugen – man denke an die durchschnittlichen 4 von 5 Punkten auf der Zustimmungsskala – gut geeignet sein dürften, um Rapport aufzubauen.
Wenig verwunderlich, dass solche Sprachmuster auch im sogenannten Cold Reading oder von Wahrsagern eingesetzt werden. Die Sprachmuster, die für den Barnum-Effekt verantwortlich sind, lassen sich aber natürlich auch zum Wohl eines Klienten einsetzen.
Sieh dir einmal folgenden Dialog zwischen Klient und Coach an und wie sich der Rapport vertieft, bevor der Coach eine Intervention vornimmt:
Klient: Heute bin ich gegenüber einem Mitarbeiter laut geworden. Dafür habe ich mich danach geschämt.
Coach: Es gibt Momente, in denen man die Nerven verliert.
Klient: Ja, genau so hat sich das angefühlt. Ich konnte meinen Ärger nicht mehr im Zaum halten.
Coach: Sie sind jemand, der seine Gefühle meistens gut im Griff hat. Manchmal kann es aber auch Ihnen zu viel werden.
Klient: Richtig, normalerweise passiert mir so etwas sehr selten.
Coach: Genau, aber was passiert ist, ist passiert. Sie können das jetzt nicht mehr ändern.
Klient: Das ist wahr. Aber ich möchte nicht, dass ich das in Zukunft wieder tue.
Coach: Es ist gut, dass Sie ein Mensch sind, der nicht zu sehr in der Vergangenheit lebt, aber dennoch sein Handeln reflektiert.
Klient: Ja, das ist mir wichtig.
An dieser Stelle könnte der Coach, der mehrere positive Rückmeldungen – Stichwort Ja-Haltung – vom Klienten bekommen hat, sich je nach Reaktion
a) auf die Vergangenheit konzentrieren, d. h. die genauen Auslöser für das Verhalten des Klienten herausarbeiten oder
b) gemeinsam mit dem Klienten zukunftsbezogen an Techniken arbeiten, die verhindern, dass das unerwünschte Verhalten erneut auftritt.