Aus der Kurve: Der Mythos zweistelliges WachstumLesedauer 2 Min.
„We want double-digit growth!” Wer schon einmal in einem börsennotierten Unternehmen gearbeitet hat, dem dürfte die Forderung „zweistelliges Wachstum” nicht ganz unbekannt sein. Sieht man sich dann auf der Internetseite großer Konzerne um, findet man zum Thema Nachhaltigkeit diese oder ähnliche Statements:
Beispiel: Volkswagen: „Nachhaltigkeit bedeutet für unseren Konzern, ökonomische, soziale und ökologische Ziele gleichrangig und gleichzeitig anzustreben. Wir wollen dauerhafte Werte schaffen, gute Arbeitsbedingungen bieten und sorgsam mit Umwelt und Ressourcen umgehen.”
Beispiel Unilever: „Wir sind der festen Überzeugung, dass wirtschaftliches Wachstum nicht auf Kosten der Menschen und des Planeten erfolgen darf. Deshalb stellen wir Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt unseres Geschäftsmodells, wollen andere damit inspirieren und so die Wirtschaft als Ganzes positiv beeinflussen.”
Die Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen.
Aber sind diese beiden Ziele vereinbar? In diesem Artikel dazu ein paar kleine Beispielrechnungen.
Als Unternehmen muss VW herhalten, die Werte sind natürlich fiktiv und ich hoffe, dass die wahren Ziele von VW deutlich realistischer sind. Warum, wirst du gleich erfahren.
Zweistelliges Wachstum Szenario 1: 10 %
Hier eine kleine Illustration. Gehen wir von einem gleichmäßigen Wachstum von 10 % pro Jahr aus.
Wie lange dauert es dann bis sich die jeweilige Kennzahl, z. B. Umsatz oder Gewinn, vervielfacht?
- Verdoppelung –> 9 Jahre
- Vervierfachung –> 16 Jahre
- Verzehnfachung –> 26 Jahre
- Verzwanzigfachung –> 33 Jahre
Anders gesagt: Nach knapp einer Generation müsste unser Unternehmen also seinen Umsatz um den Faktor 20 erhöht haben. Das mag bei einem Startup, das klein anfängt, vielleicht vorkommen.
Ein Unternehmen mit einer Größe von VW (Jahresumsatz 2018: knapp 236 Mrd. €) läge dann bei über 4,7 Billionen €.
Zum Vergleich: Das Unternehmen mit dem weltweit größten Umsatz ist Walmart und liegt bei ca. 450 Mrd. €, also rund einem Zehntel.
Hier als Grafik:
Zweistelliges Wachstum Szenario 2: 20 %
Noch absurder wird das ganze bei einem angenommenen Wachstum von 20 %.
Jetzt dauert es bis zur
- Verdoppelung –> 5 Jahre
- Vervierfachung –> 9 Jahre
- Verzehnfachung –> 14 Jahre
- Verzwanzigfachung –> 18 Jahre
Nach einer Generation müsste das Unternehmen gar knapp das 198-fache seines ursprünglichen Umsatzes erzielen.
Auch hier eine Grafik:
Das Ganze einmal für VW beispielhaft zu Ende gedacht:
- Der Umsatz müsste in 30 Jahren dann bei 46 Billionen € liegen.
- Nehmen wir spaßeshalber einmal an, dass ein Auto einen Verkaufspreis von durchschnittlich 20.000 € hat: Dann müsste VW in den nächsten 30 Jahren mehr als 2,3 Milliarden Autos verkaufen. Jeder fünfte Mensch auf der Welt hätte dann einen VW.
- Im Jahr 2018 erreichte VW übrigens mit knapp 11 Millionen Autos einen neuen Absatzrekord. Bleibt es bei dieser Größenordnung, würde es bis zum Erreichen des obigen Umsatzzieles nicht 30 Jahre, sondern mehr als 200 Jahre dauern.
Zweistelliges Wachstum und Nachhaltigkeit – unvereinbar
Die vielleicht wichtigste Definition des Begriffs Nachhaltigkeit findet sich im Bericht der Brundtland-Komission aus dem Jahr 1987:
Nachhaltig ist eine Entwicklung, „die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.“
Und jetzt einfach gefragt: Wie viel Ressourcen (z. B. Rohstoffe, Energie) würden/werden wir benötigen und wie viel Zerstörung (z. B. CO2-Ausstoß) anrichten, wenn wir dem Fetisch des zweistelligen Wachstums weiter folgen? Was bedeutet das schon fast zwangsläufig für den Klimawandel? Was richtet diese Zielsetzung langfristig mit dem Unternehmen und seinen Mitarbeitern an (lies dazu auch meinen Artikel über „SMARTE Ziele“)?
Beim nächsten Mal …
Bei der nächsten Forderung eines Top-Managers nach „double-digit growth” sollten wir also – zumindest innerlich – getrost den Kopf schütteln oder noch besser: einfach mal widersprechen.