Negatives Reframing oder: Warum soll ich die ganze Arbeit alleine machen?Lesedauer 5 Min.

Jeder, der sich schon einmal mit Kurzzeittherapie, NLP oder Hypnose beschäftigt hat, kennt den Begriff: Reframing, oder zu Deutsch: Umdeutung.

Bereits viele Grundannahmen des NLP kann man als Reframing begreifen. Man denke zum Beispiel einmal an „Hinter jedem Verhalten steckt eine gute Absicht“. Das muss nicht unbedingt wahr sein, aber es ist eine sehr effektive Haltung:

  • Für den Therapeuten, denn es hilft auch für Klienten mit Verhaltensweisen, die eine leichte Gänsehaut erzeugen und in einen Stuck-State bei der Behandlung führen können, eine gewisse Empathie und Ideen für einen wertschätzenden Umgang mit dem einschränkenden Anteil zu entwickeln.
  • Für den Klienten, denn er hat vielleicht zum ersten Mal die Möglichkeit, zumindest gewisse Anteile seines Verhaltens – und damit seiner Persönlichkeit – wertzuschätzen.

Die Arbeit mit Anteilen, wie zum Beispiel im Six-Step-Reframing ist ebenfalls für sich genommen schon eine Umdeutung: nicht die ganze Person ist schlecht, faul, perfektionistisch, depressiv, jähzornig usw., sondern nur ein Teil von ihr. Diese Erkenntnis verschafft dem Klienten bereits einen gewissen Abstand und erlaubt ein Modell, in dem mit verschiedenen Teilen gearbeitet wird.
Ich will diesen Artikel nicht unnötig aufblähen und setze einmal voraus, dass der Leser zumindest eine grobe Idee von dieser Technik und der Anwendung hat. Auch werde ich hier nicht zum hundertsten Mal  das Six-Step-Reframing oder den Unterschied zwischen Kontext- und Bedeutungsreframing erklären, denn diese Informationen findet man auf unzähligen Webseiten und in fast jedem NLP-Buch. Wer sich noch einmal einen Überblick verschaffen möchte, sollte den Klassiker von Bandler und Grinder “Reframing” zur Hand nehmen, den es zum Beispiel bei Amazon zu kaufen gibt.

Oft genug kommt es im Reframing aber vor, dass es den Patienten schwerfällt, einem Teil, den sie hassen gelernt haben, eine positive Absicht zu unterstellen.

Daher auf auf zu neuen Ufern, will sagen: deute dem Klienten sein Verhalten einfach einmal negativ um. Oder noch besser: lass ihn das gleich selbst übernehmen.

Was das bringen soll?

Stärkung und Festigung einer positiven Entwicklung beim Klienten durch „positiven Widerstand“

Im Sinne eines provokativen Therapie-Ansatzes wird es dazu führen, dass sich der Patient gegen die Behauptungen des Therapeuten zur Wehr setzt und damit zum Beispiel seine Überzeugung verstärkt, dass sich sein Zustand gebessert hat. Das negative Reframing des Therapeuten erzeugt also eine Art „positiven Widerstand“. Wichtig sind – wie bei jedem provokativen Ansatz – Empathie und Rapport. Ein kleines „Augenzwinkern“ an der richtigen Stelle kann auch nicht schaden.

Beispiel:

Klient: Heute fühle ich mich etwas besser.
Therapeut (zieht ungläubig die Augenbrauen hoch): Sind sie sicher? Das könnte doch 
wieder nur so ein kurzer Moment sein, der gleich wieder vergeht.
Klient: Das glaube ich nicht. Ich fühle mich schon den ganzen Morgen so.
Therapeut (skeptisch): Na, wenn Sie das sagen. Aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, richtig?
Klient (leicht trotzig): Das mag schon sein. Aber es ist doch ein guter Anfang.
Therapeut (übertreibt den Gesichtsausdruck der Resignation): Jaja, das haben Sie ja schon öfter gesagt … Aber abgerechnet wird ja bekanntlich zum Schluss. Und wer weiß, ob das Ihre Familie auch so sehen würde.
Klient: Das ist mir egal. Im Moment geht es mir gut, das ist doch das Entscheidende. Und darüber hat auch kein Anderer ein Urteil zu fällen.
Therapeut (lächelt und ankert verdeckt, zum Beispiel durch einen Druck auf den Arm): Da haben Sie recht! Es geht ihnen gut… genießen Sie es …(Physiologie des Klienten zeigt positiven Zustand)… jetzt.

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Hinweise

Der Klient hat, indem er die negativen Reframings des Therapeuten abgelehnt hat, hier zwei wichtige Einsichten selbst entwickelt:
a) Es geht mir besser und ich verteidige diese Haltung auch gegen skeptische Einwände, die mir in der Zukunft begegnen könnten (zum Beispiel von Familienmitgliedern, Arbeitskollegen usw.).
Systemtheoretisch gesprochen: falls Mitglieder des Systems versuchen das System wieder in die alten Bahnen zu lenken, wird sich der Klient besser behaupten.
Im Sinne des NLPs: es wurde ein Future-Pace eingebaut; der Klient erarbeitet sich eine stabile Haltung, falls  er auf Skepsis hinsichtlich der Verbesserung seines Zustandes stößt.
b) Stichwort Achtsamkeit: ich fühle mich gut und nehme das jetzt in diesem Moment auch wahr, unabhängig davon, was vorher war oder später noch sein wird.
Neben den positiven Effekten für den Klienten hatte der Therapeut darüber hinaus die Möglichkeit, einen ressourcevollen „Hier und Jetzt“-Anker zu setzen und außerdem den Rapport zu vertiefen.

Anleitung des Klienten sein (verzerrtes) Weltbild in Frage zu stellen

Viele Klienten sind wahre Meister darin, alltägliche Situationenen und kleine Herausforderungen durch Katastrophendenken zu mächtigen Stressoren zu machen. Tritt die gut geplante und erwartete (ersehnte?) Niederlage dann ein, sorgt häufig noch ein negativer innerer Monolog („Das musste ja so kommen. Versager. Du kannst ja nichts.“) für zusätzliche negative Emotionen. Die gewohnte Abwärtsspirale ist am Werk. Gerade am Beginn einer Behandlung ist es schwierig, mit positiven Umdeutungen das verzerrte Weltbild des Klienten zu erschüttern. Er oder sie hat seine Gedanken ja auch schon sehr lange und viele der positiven Reframings hat er entweder schon gehört oder tut sie mit einem „Ja, aber…“ ab.
Indem der Klient im Gegensatz dazu darin geschult wird, negatives Reframing selbst anzuwenden, werden drei Dinge geschehen:
a) Die Verzerrung seiner Wahrnehmung wird dem Klienten nach einiger Zeit im Sinne eines „Das mache ich ja auch immer“ bewusst.
b) Er erlebt diese Verzerrung als etwas, dass er mit seinen Gedanken erschafft. In dem Moment des bewusst erzeugten negativen Reframings erfährt er ein Gefühl der Kontrolle.
c) Es besteht die Chance, einen neuen Glaubenssatz bzw. ein positives Reframing zu entwickeln: Ich  kann diese Gedanken erzeugen. Das bedeutet, dass ich sie auch stoppen kann.

Beispiel

Therapeut: Ich glaube ich weiß, wie wir ein Stück vorankommen könnten. Dafür würde ich gern ein kleines Spiel mit Ihnen spielen. (Lächelt) Keine Angst, Sie brauchen keine Sportbekleidung dafür.
Klient (lächelt): Okay, dann bin ich dabei.
Therapeut: Stellen Sie sich vor, wir sind zwei Wahrsager, die davon leben, den Menschen zwei Arten von Amuletten anzudrehen. Das eine schützt vor gefährlichen Situationen, das andere vor schlechten Gedanken. Aber unsere potentiellen Kunden sind leider meistens verdammt glücklich. Unser Job ist es, Ihnen in alltäglichen Situationen die unerkannten Gefahren aufzuzeigen – und natürlich auch die schlechten Gefühle und Gedanken, die damit einhergehen.
Wenn unser potentielle Kunde also zum Beispiel sagt (Verwendung einer Situation, die für den Klienten problematisch sein könnte, beispielsweise soziale Anlässe): Ich lade heute einige Freunde zum Essen ein und werde kochen. Darauf freue ich mich schon…sagen Sie?
Klient: Da kann aber einiges schiefgehen. Was, wenn Alle im letzten Moment absagen und Sie dann alleine dastehen? Oder Ihnen das Essen anbrennt? Vielleicht mögen einige Leute das Rezept nicht, das Sie ausgesucht haben. Sie kochen Fisch? Oh, das ist aber schon sehr speziell – und schwierig.
Therapeut: Sehr gut. Am besten erzählen Sie ihm eine Geschichte aus der Vergangenheit, zum Beispiel: einmal hatte ich neue Bekannte zum Fischessen eingeladen und Wochen später haben mir dann einige der Gäste erzählt, dass die zuhause ein großes Aquarium haben. Die haben sich nie wieder bei mir gemeldet…
Klient: Und haben Sie schon über die Sitzordnung nachgedacht? Da kann ja auch einiges danebengehen. Und dann machen Sie sich hinterher Vorwürfe.
Therapeut (lacht): Ich sehe, Sie sind ja ein richtiges Naturtalent. Die Schutzamulette werden sich fast wie von selbst verkaufen. Ich bin schon gespannt, was Sie aus einer Fahrt mit der Straßenbahn alles machen können.
Klient (lacht plötzlich laut): Sie haben mich reingelegt!
Therapeut: Inwiefern?
Klient: Genau solchen Mist denke ich doch selbst die ganze Zeit. Und wenn dann wirklich was schiefgeht, denke ich mir: Das habe ich doch gleich gewusst. Ich kann einfach nichts richtig machen.
Therapeut (lächelt): Sie haben mich erwischt. Und wenn Sie solche Gedanken erzeugen können, können Sie ja genauso gut etwas Anderes denken. Es ist ja schließlich Ihr Kopf. Und Sie müssen sich ja nicht alles glauben, was Sie denken.
Patient (wird sehr still und sieht nachdenklich drein)

Hinweise

Folgendes ist hier wichtig:
a) Der Klient startet in seinem eigenen Modell. Daher fällt ihm diese Übung leicht.  Außerdem kann er den Mechanismus, wie er aus ganz alltäglichen Situationen wahre Horrorszenarien zaubert, schnell erkennen.
b) Der Therapeut erkennt die Verzerrung der Realität als eine Fähigkeit des Patienten an, anstatt sie mit erhobenem Zeigefinger zu kritisieren oder gegen sie anzuargumentieren.
c) Der Rahmen eines „Spiels“ wirkt im ersten Moment für den Klienten nicht bedrohlich und versetzt ihn in eine ressourcevolle Haltung.
d) Der Klient kann am Ende nicht abstreiten, dass er in der Lage ist, solche negativen Reframings einer Situation problemlos und spielerisch selbst zu erzeugen. Er sieht sich nicht mehr als Opfer, sondern „steuert den Bus“. Damit wird es auch eine realistische Option, dass er in solchen Situationen eine positive und wertschätzendere Haltung sich selbst gegenüber entwickeln kann.

Wie du siehst, stecken im „negativen Reframing“ eine ganze Menge Möglichkeiten. Viel Erfolg – und Spaß – beim Ausprobieren.

PS: Wer beim Lesen ein bisschen Lust auf Provokative Therapie bekommen hat, sollte einmal das Buch von Frank Farrelly zur Hand nehmen.

Und hier das englische Original:

 

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