Buchtipp: „… trotzdem Ja zum Leben sagen“ von Viktor E. FranklLesedauer 2 Min.

Der Untertitel des Buchs „… trotzdem Ja zum Leben sagen“ sagt schon, dass Viktor Frankls Werk alles andere als leichte Kost ist: “Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager.”

Erlebnisbericht statt Tatsachendarstellung

Wer nun mit dem Gedanken, dass man über die Monstrositäten der Nazis und den Holocaust nun doch wirklich schon alles gehört, gesehen und gelesen hat, dieses Buch gleich wieder zur Seite legen will, begeht einen Fehler.

Denn Frankl geht es nicht nicht um einen Tatsachenbericht, sondern um das, was er als Häftling erleben musste. Und um die Frage, wie er es überlebte. Die Perspektive des Psychologen Frankl (hier ein Link zur Biographie), der eine schonungslose Selbstreflexion vornimmt, macht dieses Buch einzigartig.

 

Das Lesen schmerzt

Das alles ist beim Lesen nicht immer einfach zu ertragen, denn man erhält in “… trotzdem Ja zum Leben sagen” Antworten auf Fragen, über die man lieber nie nachgedacht hätte:

  • Wie erlebt man die Ankunft in Auschwitz?
  • Wie die erste Selektion (die Mithäftlinge von Frankl sofort “ins Gas” führt)?
  • Was lässt einen mit der Zeit kalt? (Das massenhafte Sterben um einen herum.)
  • Was nicht? (Hohn und tägliche Erniedrigung durch Capos und SS.)
  • Wie geht man mit Selbstmordgedanken um?
  • Welche Strategien erhöhen die Chance, zu überleben?
  • Gibt es in einem derart unmenschlichen System noch so etwas wie menschliche Freiheit oder Liebe?

Es tun sich beim Lesen immer wieder Abgründe auf. Am Ende ist man fast dankbar, dass dieses Buch weniger als 200 Seiten hat, die es auszuhalten gilt.

Denn man muss sich immer wieder vor Augen führen: In den Konzentrationslagern wurden unschuldige Menschen grundlos eingesperrt. Bestialisch gequält. Und ermordet. Millionenfach.

 

Zutiefst beeindruckend

Gleichzeitig ist Frankls Werk so beeindruckend und voller tiefer Einsichten, dass man es kaum aus der Hand legen mag.

Drei kurze Auszüge:

“Der furchtbarste Augenblick innerhalb der 24 Stunden des Lagerlebens war das Erwachen. Wenn uns die drei schrillen Pfiffe, die das “Aufstehen!” kommandierten noch zu halb nächtlicher Stunde aus dem Schlaf der Erschöpfung und der Sehnsuchtsträume erbarmungslos herausrissen, wenn es jetzt galt, den Kampf mit den nassen Schuhen aufzunehmen, in die die wunden und von Hungerödemen geschwollenen Füße kaum hineinzubringen waren, wenn so in den ersten Minuten des Wachlebens das Gejammer und Geschimpfe über die Tücken von Objekten, wie Schuhriemen ersetzenden, dann aber brechenden Drähten usw., anhob, wenn man ansonsten tapfere Kameraden wie Kinder weinen hörte, weil sie schließlich, die durch Feuchtigkeit zu eng gewordenen Schuhe in der Hand tragend, bloßfüßig auf den verschneiten Appelplatz hinauslaufen mussten – in diesen grässlichen Minuten gab es für mich einen schwachen Trost: ein vom Abend aufgespartes Stückchen Brot aus der Tasche ziehen und – ganz hingegeben diesem Genuss – es verzehren.”


“Da stellte ich mir vor, ich stünde an einem Rednerpult in einem großen, schönen und warmen Vortragssaal und sei im Begriff, vor einer interessierten Zuhörerschaft einen Vortrag zu halten unter dem Titel “Psychotherapeutische Erfahrungen im Konzentrationslager” und ich spräche gerade von alldem, was ich soeben erlebte.”


“So war ich schon nahe daran, meinen armen, vom Alp[traum] geplagten Kameraden zu wecken. In diesem Moment erschrak ich über meinen Vorsatz und zog auch schon die Hand wieder zurück, die den Träumer wachrütteln sollte. Denn in diesem Augenblick war mir so ganz intensiv zu Bewusstsein gekommen, dass kein Traum, auch nicht der schrecklichste, so arg sein kann wie die Realität, die uns dort im Lager umgab und zu deren wach-bewusstem Erleben jemanden zu erwecken ich im Begriffe war …”

 

„… trotzdem Ja zum Leben sagen“ – aktueller denn je

Nach dem Lesen  von „…trotzdem Ja zum Leben sagen“ musste ich kurz wieder an Politiker denken, die über die Nazizeit von einem “Vogelschiss in 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte” sprechen. Vom Stolz auf die “Leistungen” der Wehrmacht. Oder von einer “erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad”, die es angeblich zu vollziehen gilt.

Solchen Menschen – Hohlköpfen wäre wohl angemessener – möchte man die Lektüre von Frankls Buch nachdrücklich empfehlen. Und im Anschluss ein langes und (hoffentlich) nachdenkliches Schweigen, bevor sie sich das nächste Mal zur deutschen Geschichte und unserer damit verbundenen Verantwortung äußern. Hoffentlich dann mit ein wenig Erstaunen und Demut. Darüber, dass Deutschland weniger als 100 Jahre nach diesem ungeheuerlichen Menschheitsverbrechen wieder eine im Kreis der Völker akzeptierte und geachtete Nation ist.

Ob wir Deutschen mit einem Land, dass eine solche Schuld auf sich geladen hätte, ähnlich verzeihend umgegangen wären?

 

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