Buchtipp: Alte weisse Männer von Sophie PassmannLesedauer 2 Min.

Sophie Passmann ist Feministin … beginnt der Klappentext.

Wer jetzt aufseufzend das Buch weglegt (du gehst noch in Buchhandlungen?) oder weiterklickt, vermutlich, weil die, häufig männliche, Klischee-Schublade aufgesprungen ist, macht einen Fehler.

Meine Osterlektüre – Geschenke großartiger Freundinnen sei Dank – war dagegen ein echter Volltreffer.

Alte weisse Männer: Sie kommen zu Wort – und entlarven sich selbst

Denn Sophie Passmanns Buch fällt in die Kategorie „lachen, bis es einem im Hals steckenbleibt“. In den Gesprächen, die sie mit so bekannten wie unterschiedlichen Männern wie Claus von Wagner (Die Anstalt), Kai Diekmann (ehemaliger Chefredakteur der BILD) oder Rainer Langhans (Kommune I) geführt hat, führt sie diese Männer nicht vor. Sie tun es selbst. Dabei wagt sich Passmann sogar an ihren eigenen Vater. So viel Mut muss man erst einmal aufbringen.

Sie hört zu, fragt, kommentiert. Witzig, bissig, scharf, liebevoll, manchmal auch fassungslos. Das macht die Stärke des Buchs aus.

Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?

Ihr Buch ist aber keine Wohlfühllektüre für den (selbst diagnostiziert) aufgeklärten und emanzipierten Mann. Passmann hat nicht die Trumps dieser Welt interviewt, die sich vom Ufer einer ernsthaften Debatte schon so weit entfernt haben, dass man ihnen statt eines Rettungsringes lieber einen Bleigürtel zuwerfen möchte. So ein Buch wäre einfach zu schreiben gewesen – und dabei völlig belanglos.

Stattdessen sind die besten Gespräche die, bei denen man sich selber dabei ertappt, den bequemen Argumenten der, zumindest auf den ersten Blick, aufgeklärten weißen Männer für einen Moment blind hinterher zu laufen.

Beispiel Ulf Poschardt, Chefredakteur der Welt: „Quote ist immer falsch, Quote ist Unfreiheit, Quote führt dazu, dass am Ende eine Entscheidung getroffen wird für eine Frau, weil es die Quote gibt.“

Klick ruhig. Ich bin bloß Werbung :-)

Nein, man sollte das Ganze stattdessen einfach der unsichtbaren Hand des Marktes überlassen: „Da [in Unternehmen], wo Frauen nicht reinkommen, die werden sterben, das ist das Geile an Marktwirtschaft. Es hat keine Zukunft. Es ist vorbei.“

Für einen kurzen Moment lässt man sich einlullen. Glaubt an den scheinbaren Widerspruch zwischen Quote und Demokratie, und die augenscheinlich viel elegantere Lösung: marktwirtschaftlichen Wettbewerb, der am Ende der Gleichberechtigung so unbeabsichtigt wie unaufhaltsam zum Sieg verhelfen wird. Der Unternehmenserfolg der Zukunft lässt sich so auf ein Wort reduzieren: weiblich. Schon steht man als Mann auf der richtigen Seite, ganz ohne Aufwand oder ethisch-moralische Positionierung. Und hat für einen Moment vergessen, dass Anfang 2018 in den DAX-Vorständen 50 Frauen saßen – bei insgesamt 686 Vorständen.

Gleichzeitig wünscht man unwillkürlich jeder Frau, nur bloß nicht durch die Quote in eine verantwortungsvolle Position zu kommen. Denn sonst müsste sie sich ja gequält bis an ihr Lebensende fragen, ob sie ihre Leistung oder doch nur die Quote ins Amt gebracht hat. Wer will so leben?

Hier, genau rechtzeitig, greift die Autorin ein und fragt, ob diese prozentuale Schieflage bei der Besetzung von Führungspositionen Männer nicht ständig zu Selbstzweifeln führen muss: „Wenn Frauen sich also fragen müssten, ob sie nur wegen einer Quote ihren Job haben, müssen Männer sich im Gegenzug ständig fragen, ob sie ihren Job nur haben wegen ihres Penis.“

Fast durchgängig hohes Niveau

Nicht alle Gespräche packen einen gleichermaßen. Das absurd-unverständliche Gefasel eines Rainer Langhans, der von seinem Harem als „superfeministischem Projekt” bis zu seiner These eines „Opfer-Feminismus“ kaum einen klaren Gedanken zu Protokoll gibt, sorgt eher für Fassungslosigkeit als Erkenntnisgewinn. Verzichtbar. Aber nur eine von ganz wenigen Ausnahmen.

Ganz anders die Interviews mit Kai Diekmann, Ulf Poschardt, Robert Habeck, Kevin Kühnert, Marcel Reif und all den anderen, die Sophie Passmann zu einem Gespräch bewegen konnte. Hier wäre man gern dabei gewesen, hätte zugehört, mitdiskutiert und gelegentlich den Kopf geschüttelt.

Warum es dieses Buch – und den Feminismus – leider noch braucht

Bildlich gesprochen: Weil ein Buch mit dem Titel „Alte weisse Frauen“ in unserer Gesellschaft nicht zu schreiben wäre. Die theoretische Absurdität eines solchen Projektes zeigt gleichzeitig den Abstand, den wir von echter Gleichberechtigung noch haben.

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