Warum soll man eigentlich nicht “Warum?” fragen?Lesedauer 3 Min.

Ob Führungskräftetraining oder Kommunikationsseminar: Das Thema “Fragetechniken” gehört inhaltlich noch immer zu den Standards. Klassisch die Unterscheidung zwischen offenen (eher gut) und geschlossenen (eher schlecht) Fragen. Dazu kommen dann meistens auch noch die W-Fragen. Hier wird dem Teilnehmer meistens gesagt, dass alle W-Fragen (Wozu? Woher? Wann? Wie? usw.) prinzipiell hilfreich sind. Es gibt aber eine Ausnahme: Warum. Aber warum eigentlich, könnte man fragen – und sich dann an den verdrehten Augen der anderen Kursteilnehmer freuen.

Funktionen von Fragen im Gespräch

Wozu überhaupt Fragen stellen? Eine Einstellung, die bei manchen Führungskräften recht beliebt zu sein scheint. 😉

Daher ein paar einleitende Worte.

Im Prinzip haben Fragen, unabhängig von der Situation (Verkauf, Coaching, Mitarbeitergespräch), mehrere wichtige Funktionen im Gespräch:

  1. Sammeln von Informationen: Wenn ich nicht gerade rhetorische Fragen stelle, sind Fragen ein wichtiger Weg, um Informationen zu sammeln. Ob ich ein Auto verkaufen, ein Kritikgespräch führen oder an der Bewältigung eines Problems arbeiten möchte: Fragen helfen mir, die Situation besser zu verstehen und Lösungen zu finden.
  2. Aufbau von Rapport: Wenn ich meinem Gegenüber Fragen stelle, heißt das normalerweise – also wenn ich nicht gerade die spanische Inquisition oder drei Jahre alt bin – dass ich mich für seine Sicht der Dinge interessiere und seine Meinung wertschätze. Das hilft dabei, Rapport aufzubauen. (Einen spannenden Artikel zum Thema Rapport mit hilfreichen Techniken findest du hier.)
  3.  Wissen vermitteln: Klingt im ersten Moment paradox, weil man Informationen einholt und nicht verteilt. Im Prinzip ist diese Art der Fragetechnik aber das, was auch mit “sokratischem Dialog” gemeint ist. Fragen helfen dem Gegenüber, Gedanken selbst zu entwickeln und zu eigenen Einsichten zu kommen. Der Fragende ist also eine Art “Geburtshelfer”. Sokrates sprach auch von der “Hebammenkunst”. Also ungefähr das Gegenteil von dem, was wir aus dem klassischen “Schützengrabenunterricht” in der Schule oder – nomen est omen – Vorlesungen an der Universität gewohnt sind.

Warum nicht warum?

Es gibt verschiedene Gründe, auf die Frage nach dem Warum tendenziell zu verzichten.

“Warum” führt in die Vergangenheit

Die Frage führt häufig in Richtung Vergangenheit. Warum ist das passiert? Warum haben wir uns so entschieden? Warum haben wir das getan?
Man muss hier sprachlich aber etwas aufpassen. Wer schon von dem bekannten Autor und Coach Simon Sinek, seinem Buch “Start with why” und seinem “Golden Circle” gehört hat, weiß, dass er die Frage nach dem Warum für entscheidend hält, wenn es zum Beispiel um die Frage geht, was ein Unternehmen erfolgreich macht. Der bekannt gewordene “TED Talk” (mit deutschen Untertiteln), wo er das am Beispiel des Unternehmens Apple sehr einleuchtend demonstriert, findest du hier.
Ein Widerspruch? Letztlich nicht, im Deutschen sollte man wohl eher “Wozu?” fragen, was impliziert: Zu welchem Zweck? Wo wollen wir damit hin? Was nützt uns das? Im Gegensatz zu “Warum” ist die Frage deutlich auf die Zukunft, auf Möglichkeiten und auf Ziele gerichtet. In den meisten Gesprächssituationen kommt man damit weiter.

“Warum” führt zu Rechtfertigungen

Die Frage nach dem Warum kann beim Gegenüber schnell zu so etwas wie einem “Rechtfertigungsmodus” und möglicherweise auch die Suche nach einem Schuldigen führen. Nicht unbedingt förderlich für den Rapport in einem Gespräch.

“Warum” führt zu Scheuklappen

Auch besteht die Gefahr, dass dein Gegenüber nach dem einen einzigen Grund sucht, der die Frage nach dem Warum beantworten soll. Aber die Welt ist leider selten monokausal. Auf die Frage “Warum sind Sie Veganer geworden?” haben die meisten Veganer vermutlich mehr als eine Antwort. Wenn du stattdessen fragst “Welche Gründe könnte es dafür gegeben haben?” oder “Welche Dinge haben Sie bewogen?” triffst du die Vorannahme, dass es mehr als einen Grund gegeben hat – was in den meisten Fällen zutreffen dürfte. Auf jeden Fall erhältst du so wahrscheinlich mehr Informationen.

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“Warum” führt zu Rationalisierungen

Fragen nach dem Warum führen häufig zu Rationalisierungen. Beispielhaft gesprochen: Wenn du jemanden fragst, warum er das Auto einer bestimmten Marke gekauft hat, bekommst du meistens rationale Antworten, also Sicherheit, Spritverbrauch, Qualität, Garantie usw. Diese Gründe mögen alle eine Rolle spielen, aber tieferliegende, emotionale oder gar unterbewusste Motive und Prozesse (Statussymbol, hat mein Partner entschieden, will nicht durch was Extravagantes auffallen usw.) wirst du mit dieser Frage eher nicht aufdecken.

Buchtipps (Links führen direkt zu Amazon)

Wenn du dich für das Thema Fragen im Allgemeinen interessierst, ist das Buch “Fragen können wie Küsse schmecken” von Carmen Kindl-Beifluß einen Blick wert.


Sokratische Gesprächsführung” von Harlich H. Stavemann dreht sich um die oben erwähnte Methode und liefert eine Menge Praxisbeispiele.


Start with why” von Simon Sinek. Der Kerngedanke – siehe oben – ist recht einleuchtend. Ob man ihn teilt, eine andere Frage. Und das Beispiel Apple ist, sagen wir inzwischen ein wenig ausgelutscht. Trotzdem lesenswert und eine gute Ergänzung zum TED Talk


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